
Im digitalen Zeitalter stellt sich für europäische Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Organisationen zunehmend die Frage nach der eigenen digitalen Souveränität. Die Abhängigkeit von US-amerikanischen Tech-Giganten wie Amazon (AWS), Google (GCP) und Microsoft (Azure) im Cloud-Bereich wird nicht mehr nur als technologische, sondern auch als strategische und geopolitische Herausforderung betrachtet. Dieser Artikel beleuchtet, warum gerade jetzt der optimale Zeitpunkt gekommen ist, um sich verstärkt mit europäischen Cloud-Alternativen auseinanderzusetzen.
Der aktuelle geopolitische Kontext
Die internationalen Beziehungen befinden sich in einer Phase zunehmender Spannungen und Unsicherheiten. Handelskonflikte, unterschiedliche Wertesysteme und divergierende politische Interessen haben in den letzten Jahren die transatlantischen Beziehungen auf die Probe gestellt. Diese geopolitischen Verwerfungen haben direkte Auswirkungen auf die digitale Wirtschaft:
- Technologische Entkopplung: Wir erleben weltweit eine zunehmende Fragmentierung des digitalen Raums entlang geopolitischer Grenzen.
- Technologie als geopolitisches Instrument: Cloud-Dienste und digitale Infrastrukturen werden vermehrt als Hebel in internationalen Konflikten eingesetzt.
- Strategische Autonomie: Die EU hat die Stärkung der digitalen Souveränität zu einem zentralen Ziel ihrer Digitalstrategie erklärt.
Diese Entwicklungen unterstreichen die Notwendigkeit, kritische digitale Infrastrukturen unter europäischer Kontrolle zu halten, um Handlungsfähigkeit in Krisensituationen zu bewahren.
Rechtliche Unsicherheiten im transatlantischen Datentransfer
Ein entscheidender Faktor, der für europäische Cloud-Alternativen spricht, ist die anhaltende Rechtsunsicherheit beim Datentransfer in die USA:
Das Schrems-II-Urteil und seine Folgen
Im Juli 2020 erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im sogenannten Schrems-II-Urteil das Privacy Shield – die bis dahin gültige Rechtsgrundlage für den Datentransfer zwischen der EU und den USA – für ungültig. Obwohl mittlerweile mit dem EU-US Data Privacy Framework ein Nachfolgeabkommen geschaffen wurde, bestehen weiterhin grundlegende Bedenken bezüglich seiner rechtlichen Nachhaltigkeit.
Der US CLOUD Act im Konflikt mit der DSGVO
Der 2018 in Kraft getretene US CLOUD Act ermächtigt US-Behörden, Zugriff auf Daten amerikanischer Unternehmen zu verlangen – unabhängig davon, wo diese Daten gespeichert sind. Dies steht in direktem Konflikt mit den Grundsätzen der DSGVO, die einen solchen Zugriff ohne entsprechende Rechtshilfeabkommen nicht vorsieht.
Steigende Bußgelder bei DSGVO-Verstößen
Die Datenschutzbehörden in Europa verhängen zunehmend empfindliche Bußgelder bei Verstößen gegen die DSGVO. Besonders im Fokus stehen dabei Datentransfers in Drittländer ohne angemessenes Datenschutzniveau. Für Unternehmen bedeutet dies ein erhöhtes Compliance-Risiko bei der Nutzung von US-Cloud-Diensten.


Die steigende Leistungsfähigkeit europäischer Cloud-Anbieter
Während in der Vergangenheit oft argumentiert wurde, europäische Anbieter könnten technologisch nicht mit den US-Hyperscalern mithalten, hat sich dieses Bild in den letzten Jahren deutlich gewandelt:
Erhebliche Investitionen in europäische Cloud-Infrastrukturen
Europäische Cloud-Anbieter haben massiv in den Ausbau ihrer Infrastrukturen investiert. Unternehmen wie OVHcloud, IONOS, Stackit (Schwarz Gruppe) oder die Open Telekom Cloud der Deutschen Telekom betreiben inzwischen hochmoderne Rechenzentren, die in puncto Leistungsfähigkeit, Verfügbarkeit und Sicherheit internationalen Standards entsprechen.
Aufholen bei innovativen Cloud-Services
Während europäische Anbieter bei hochspezialisierten KI-Diensten noch nicht immer mit den US-Giganten mithalten können, haben sie in Kernbereichen wie Infrastructure-as-a-Service (IaaS) und Platform-as-a-Service (PaaS) erheblich aufgeholt. Viele bieten mittlerweile leistungsfähige Kubernetes-Plattformen, Object Storage, Container Registry und weitere essenzielle Cloud-Dienste an.
Fokus auf Open-Source-Technologien
Zahlreiche europäische Cloud-Anbieter setzen verstärkt auf Open-Source-Technologien wie OpenStack, Kubernetes oder Ceph. Dies reduziert die Abhängigkeit von proprietären Technologien und fördert die Interoperabilität zwischen verschiedenen Plattformen, was den Vendor-Lock-in verringert.
Strategische Initiativen auf europäischer Ebene
Die europäische Politik hat die Bedeutung digitaler Souveränität erkannt und treibt verschiedene Initiativen voran, die europäischen Cloud-Anbietern Rückenwind geben:
Das GAIA-X-Projekt
GAIA-X ist eine europäische Initiative zur Schaffung einer vernetzten, offenen Dateninfrastruktur auf Basis europäischer Werte. Das Projekt soll einheitliche Standards und Regeln für Cloud-Dienste etablieren und so die Interoperabilität zwischen verschiedenen Anbietern fördern. Obwohl GAIA-X in der Umsetzung auf Herausforderungen stößt, setzt es wichtige Impulse für ein europäisches Cloud-Ökosystem.
Europäische Cloud-Allianz
Die European Cloud Alliance ist ein Zusammenschluss europäischer Cloud-Anbieter mit dem Ziel, gemeinsame Standards zu entwickeln und die Position europäischer Anbieter im globalen Wettbewerb zu stärken.
Finanzielle Förderung durch Recovery and Resilience Facility (RRF)
Im Rahmen des europäischen Wiederaufbaufonds fließen erhebliche Mittel in die Digitalisierung und den Aufbau digitaler Infrastrukturen. Diese Investitionen kommen auch dem europäischen Cloud-Sektor zugute.
Vorstellung wichtiger europäischer Cloud-Anbieter
Deutsche Anbieter
- Stackit (Schwarz Gruppe): Die Cloud-Lösung der Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland) fokussiert sich auf Datensouveränität und DSGVO-Konformität. Stackit betreibt Rechenzentren ausschließlich in Deutschland und bietet ein wachsendes Portfolio an IaaS- und PaaS-Diensten.
- Open Telekom Cloud: Die Cloud-Plattform der Deutschen Telekom bietet ein umfassendes Portfolio an Cloud-Diensten mit Rechenzentren in Deutschland und der EU. Als etablierter Telekommunikationsanbieter verfügt die Telekom über umfangreiche Erfahrung im Betrieb kritischer Infrastrukturen.
- IONOS Cloud: Der Hosting-Pionier 1&1 IONOS hat sein Angebot um leistungsfähige Cloud-Dienste erweitert und positioniert sich als datensouveräne Alternative zu US-Anbietern.
Europäische Anbieter
- OVHcloud (Frankreich): Als einer der größten europäischen Cloud-Provider bietet OVHcloud ein breites Spektrum an IaaS- und PaaS-Diensten zu wettbewerbsfähigen Preisen. Das Unternehmen setzt stark auf selbst entwickelte Technologien und Energieeffizienz.
- Scaleway (Frankreich): Der zur Iliad-Gruppe gehörende Anbieter hat sich durch innovative und entwicklerfreundliche Cloud-Lösungen einen Namen gemacht. Scaleway legt besonderen Wert auf einfache Bedienbarkeit und transparente Preisgestaltung.
- Exoscale (Schweiz): Der Schweizer Anbieter konzentriert sich auf einfach zu nutzende Cloud-Infrastrukturdienste mit besonderem Augenmerk auf Datenschutz und Sicherheit.
Ausblick und Fazit
Die Entscheidung für europäische Cloud-Anbieter ist mehr als eine technische Wahl – sie ist eine strategische Investition in die digitale Zukunft europäischer Unternehmen und Organisationen. Mit der steigenden Leistungsfähigkeit europäischer Anbieter, anhaltenden rechtlichen Unsicherheiten beim transatlantischen Datentransfer und dem wachsenden politischen Fokus auf digitale Souveränität war der Zeitpunkt für einen Wechsel nie günstiger als jetzt.
Die vollständige Ablösung von US-Cloud-Diensten mag für viele Organisationen weder realistisch noch sinnvoll sein. Ein differenzierter Ansatz, bei dem kritische Workloads und sensible Daten bevorzugt bei europäischen Anbietern gehostet werden, während spezialisierte Dienste weiterhin von globalen Anbietern bezogen werden können, bietet einen pragmatischen Weg zu mehr digitaler Souveränität.
Durch die bewusste Entscheidung für europäische Cloud-Alternativen tragen Unternehmen und Organisationen nicht nur zur Stärkung des europäischen Digitalökosystems bei, sondern schaffen auch nachhaltige Wettbewerbsvorteile in einer zunehmend fragmentierten digitalen Welt. Die Zeit zum Handeln ist jetzt – um die digitale Zukunft Europas aktiv mitzugestalten und nicht nur passiver Konsument globaler Technologieentwicklungen zu bleiben.